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Nie mehr Schule oder Schulpflicht? Kritik an der Schulpolitik der AfD geistert durch alle Kanäle

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Nie mehr Schule oder Schulpflicht? Kritik an der Schulpolitik der AfD geistert durch alle Kanäle

Lehrerin übt mit Schülerin gemeinsam das Lesen

Nach den guten Ergebnissen der Landtagswahlen im März in drei Bundesländern ist die AfD (Alternative für Deutschland) mehr denn je in aller Munde. Nun sorgt ein Punkt im Wahlprogramm der umstrittenen Partei für einen riesigen Aufschrei: Es geht um die gesetzlich bestimmte Schulpflicht in Deutschland, die laut deren Meinung überarbeitet werden soll. Experten und Lehrerverbände weisen diesen Vorschlag scharf zurück und warnen sogar empört vor einem Rückschritt unserer Gesellschaft. Was ist dran an den gegenseitigen Argumenten und wie ist das eigentlich mit der Schulpflicht in unserem Land?

Auslöser der Beschwerden gegen die Bildungspolitik der AfD

„AfD will Schulpflicht abschaffen.“ Diese Überschrift oder ähnlich gelagerte Sätze geistern aktuell durch die Medienlandschaft des Internets. Ursprung ist der AfD-Programmpunkt zum Thema ‚Heimunterricht‘. Dort heißt es: „Schulpflicht ist durch Unterrichtspflicht zu ersetzen“, was nun die Kritiker und Schulverfechter auf den Plan ruft.

Eine der kritischen Stimmen kommt von Jonas Lanig, ehemaliger Lehrer und Bundesvorsitzender des Vereins Aktion Humane Schule. Er warnt davor, „jetzt den Rückwärtsgang einzulegen und sich vom Projekt einer demokratischen und humanen Schule zu verabschieden“. Außerdem sei das Ansinnen der AfD in seinen Augen ein Rückfall in die 1950er Jahre. Besondere Schärfe erhält seine Ablehnung durch seine geäußerte Einschätzung, dies sei ein „Generalangriff der Ewiggestrigen auf die Chancengleichheit“.

Doch was möchte die als rechtspopulistisch eingestufte Partei wirklich ändern?

Die Forderungen der AfD beinhalten eine Wiedereinführung der Grundschulempfehlung sowie den Wegfall der Gemeinschaftsschulen. Zudem soll den Eltern das Recht eingeräumt werden, selbst zu bestimmen, ob deren Kind eine öffentliche Schule besucht oder eigens organisierten Privatunterricht erhält.

Gewünschte Bildungspolitik unzureichend erklärt oder falsch aufgefasst?

Zu der harschen Kritik äußerte sich Hans-Thomas Tillschneider, nun neuer AfD Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt, bereits Ende Februar: „Schulpflicht abschaffen ist nicht nur verkürzt, es ist schlicht falsch. Wir wollen den gegen die Eltern und Kinder gerichteten staatlichen Schulzwang durch eine Bildungspflicht ersetzen, die auf Freiheit und Verantwortung beruht. Eltern, die ihre Kinder nicht in der staatlichen Schule unterrichten lassen wollen, erhalten die Möglichkeit, ihre Kinder privat zu unterrichten oder unterrichten zu lassen. Dabei soll in regelmäßigen Abständen – zu denken wäre an etwa halbjährliche Prüfungen – der Fortschritt kontrolliert werden. Sobald ernste Defizite erkennbar werden, erlischt das Recht auf Privatunterricht und das Kind muss wieder an die Schule. […]“

(http://www.afd-nb.de/2016/02/ein-stuck-burgerlicher-freiheit/)

Die dumpfe Annahme und Suggestion der vielen Schlagzeilen, die Schule solle es laut der AfD überhaupt nicht mehr geben, ist also nicht richtig. Vielmehr scheint die Partei eine Reform der Bildungspolitik in Deutschland zu wollen. Das muss nicht unbedingt ein Rückschritt in die oft als miefig bezeichnete 50er Jahre Generation darstellen, was an Beispielen anderer vergleichbarer Länder erkennbar wird.

Das Ansinnen der AfD wird jedoch auch durch sachliche Argumente bestritten. So bemängeln viele Gegner, dass zu Hause unterrichtete Kinder keine ausreichende Sozialkompetenz in der Gesellschaft entwickeln könnten, da die alltäglichen Mitschüler fehlen würden.

Diese Annahme vertrat der damalige CSU-Vorsitzende Erwin Huber schon im Jahr 2008 mit den Worten: „Sinn und Zweck der Schulpflicht ist nicht nur die Vermittlung von Lehrplaninhalten, sondern insbesondere auch die Schulung der Sozialkompetenz der Kinder. Die Sozialkompetenz wird durch das Lernen in der Klassengemeinschaft und durch gemeinsame Schulveranstaltungen in besonderem Maße gefördert.“

Zu all diesen Einwänden schrieb Herr Tillschneider in seiner Veröffentlichung unter anderem folgendes: „[…] Die etablierten Bildungspolitiker fürchten die Indoktrination der Kinder durch die Familie – vielleicht aber doch nur eine Erziehung zur Freiheit und die fehlende Möglichkeit, das Kind staatlicherseits zu indoktrinieren. Aus der Diskussion spricht viel Misstrauen gegenüber der Familie. Dieses Misstrauen sollten wir eher dem Staat entgegenbringen. […] Es gibt kein Argument dagegen, im Bildungswesen ein Stück bürgerlicher Freiheit einzuführen.“

Bezüglich des Qualitätsanspruchs am Heimunterricht sieht Josef Kraus, der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, allerdings berechtigte Zweifel: „Es gibt keinen Privatlehrer, der so ein Tausendsassa ist, dass er auch in höheren Klassen bis zu 12 Fächer unterrichten kann.“

Schulpflicht als Auslaufmodell oder doch nötig?

Würden Kinder befragt werden, wäre das Abschaffen der Schulpflicht für viele sicherlich ein Grund zum Jubeln. Doch lernen muss sein – das steht außer Frage. In der Diskussion geht es aber vielmehr um die Form und Art der Beschulung, die den Kindern zugutekommen soll.

Dieser Auffassung ist auch der Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen, der seit dem Jahr 2010 zudem als Präsident der Hamburger Universität tätig ist.

Bereits 2009 sprach er sich öffentlich für die Erlaubnis des Heimunterrichts aus und nannte es „die Schulpflicht durch Bildungspflicht ersetzen“. Er ist der Meinung, dass die deutsche Zwangsbeschulung früher sicherlich ihren Sinn und Zweck bei der überwiegenden Landbevölkerung erfüllt habe. Doch heute würde von Deutschland, als nahezu einzigem westlichen Land, geradezu rigide und der Zeit hinterher hinkend an der Schulpflicht festgehalten werden. – Ganz so neu sind die Töne der AfD also nicht.

Die Schulpflicht hat sich erst langsam in den letzten Jahrhunderten zu dem entwickelt, was sie heute ist. Die Grundlage dafür war die lutherische Reformation, die zunächst zögerlich und nur in bestimmten Gebieten ihre Verbreitung fand. Der Unterricht fand in der Regel freiwillig statt und wurde durch fehlende Voraussetzungen erschwert.

Erst im Jahr 1919 wurde in Deutschland die allgemeine und gesetzliche Schulpflicht, im Rahmen der Weimarer Verfassung, festgeschrieben. Beispielsweise Dänemark besitzt seit weit über 100 Jahren keine solche Schulpflicht mehr und Österreich handhabt es so, wie von Herrn Tillschneider erläutert: Zu Hause unterrichtete Kinder werden dort regelmäßig von staatlichen Schulen auf deren Wissensstand hin überprüft.

Inwieweit sich die deutsche Gesetzgebung künftig auf neue Modelle der Beschulung einlässt, ist fraglich. Fakt ist jedoch, dass schon einige deutsche Familien, wegen der hier strikten bestehenden Schulpflicht, in andere Länder ausgewandert sind.

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Sven Bruns

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